Nagarjuna, der Reformer

Im 1. oder 2. Jh. n. Chr. erschien Nagarjuna auf der Bühne; ein Philosoph aber auch eine schillernde Figur. Angeblich hatte er in Nalanda gelernt. Tatsache ist, dass er die gesamten religionsphilosophischen Auslegungen in Indien bis hin in seine Gegenwart analysiert hatte, um sich für seine eigene, persönliche Überzeugung ein festes Fundament zu sichern.

Er stellte die fundamentale Frage:
Wie real ist die von uns wahrnehmbare Realität? Sind wir überhaupt dazu in der Lage, zwischen Gut und Böse, Wahrheit und Lüge, Schein und Sein, Segen und Fluch zu unterscheiden?

Er kommt zu der gleichen Überzeugung wie Buddha und unterstreicht, dass die allumfassende Antwort auf diese Fragen die „Leerheit“ (skt. Shunyata) ist. Das ist nicht zu verwechseln mit skt. Abhava (Nihilismus), sondern gemeint ist skt. Niswabhava (Zustand der Leerheit).

Nagarjunas Hauptwerk heißt Mula-Madhyamaka -Karika

Mula (skt.) = Haupt / das Wichtigste
Madhyamaka (Pali) = (skt. Madhyamarga) = mittlerer Weg
Karika (skt.) = umfangreiche Darstellung/Erläuterung durch knapp gefasste Dichtung

und setzt sich zusammen aus unter anderem:

  • Shunyata Saptati = 70 Verse über die Leerheit
  • Yukti shastika = 60 Verse über die Logik
  • Babahara shiddhi = erfolgreiche Nutzanwendung
  • Sharbak Dharma mit 12 Nidana ( die Regel) usw. usw.

Die These von der Leerheit, wie sie von Buddha initiiert und eingeführt worden war, war für Nagarjuna lediglich eine Ausgangsbasis. Er führte den Gedanken weiter, indem er postulierte, dass nicht nur unsere Wahrnehmung, Bewertung, Handlung usw. also alles das was für uns eine Realität begründet, illusorisch und leer ist, sondern dass es sich dabei,von einer Metaebene betrachtet, ebenfalls nur um Illusionen handelt. Alles, was das Bild der Realität vermittelt, ist ebenfalls „leer“. Alle Entitäten sind „leer“ und substanzlos!

Auf der Grundlage von (skt.) „Pragnaparamita = Transzendente Erkenntnisebene – vertrat er vehement die Dogmatik, dass der gesamte innere Kosmos des Menschen, seine mentalen Muster, alles, was er bewusst oder unbewusst wahrnimmt, alle Projektionen und Kausalzusammenhänge die er herstellt, im Grunde ebenfalls „leer“ sind. Dass nicht nur die Wirkung sondern auch die Ursachen sich im Zustand der Leerheit befinden!

Nagarjunas modifizierte These führte zur ersten spektakulären Spaltung zwischen dem ursprünglichen dogmatischen Buddhismus (genannt: Theravada oder Hinayana ) und dem reformierten philosophischen Buddhismus (genannt: Mahayana).

Die Nagarjuna-Philosophie beschreibt auch ein philanthropisches Idealbild, denn sie impliziert die Vorstellung, dass es nicht das Ziel ist, wie ein Mönch egoistisch nach Nirwana zu streben, sondern nach der Beendigung des „Reifungs-Prozess“ solange auf der Welt zu verweilen und tätig zu sein, bis die letzte Seele die Befreiung gefunden hat — wohl eine „altruistische Mission“ mit zweifelhaftem Ausgang!