Der Weg der Erkenntnis
Der indo-arische Genius war mit dem vedischen Karma-Kanda-initiierten und praktizierten Karma-Weg nicht mehr zufrieden. Auf der Grundlage meditativer Reflexionen kamen die arischen Rishis (weise Asketen) zu der Überzeugung, dass es außerhalb dieser manifesten Welt eine transgrediente, ewige und ultimative Wahrheit geben muss!
Sehnsuchtsvoll stellten sie die Frage nach dem Absoluten, in dem sich der Mensch als Mikrokosmos und das Universum als Makrokosmos manifestiert. Hier einige Beispiele aus dem Rig-Veda, X/121, die die spirituelle Atmosphäre der Upanishaden skizzieren sollen:
„Er, der Atem gibt, dessen Wimpernschlag der atmenden und funkelnden Welt wurde – der die Menschen, Tiere, die Natur, das Universum beherrscht und transzendiert – wer ist dieser Gott, dem wir Opfer darbringen sollen?“
„Durch dessen Macht die Schneeberge entstehen und vergehen, die Weltmeere dahinfließen und sich in ausgetrocknete Wüsten verwandeln, die Erde erblüht und darüber der Himmel sich aufspannt, zitternd in seinem Geist. Wer ist der Gott, dem wir Opfer darbringen sollen?“
„Damals war nicht das Nichtsein noch das Sein. Kein Luftraum war, kein Himmel darüber. Nicht gab es Tod noch Unsterblichkeit. Nicht war die Nacht, oder der Tag offenbar – es hauchte windlos die Ursprünglichkeit das Eine, außerdem kein anderes war –von Dunkel war das ganze All bedeckt, ein Ozean ohne Licht, in „Nacht“ verloren:
ein Hauch, Om! Und das Universum geboren – wer ist dieser Gott, dem wir Opfer darbringen sollen?“
Der bewegte Geist der genialen indo-arischen Rishis begab sich ergründend in die komtemplative Tiefe der Sadhana und erfuhr die ultimative Erkenntnis über das Sein und über sich selbst und rief „so’ham“, also: „Ich bin Er“, oder „aham brahmasmi“, also: „Ich bin der Brahma selbst!“ (siehe: Rig-Veda X/129).
Das Wort „Jnana“ in Sanskrit ist polyvalent. „Jnana“ bedeutet „Wissen“, aber auch „die Wahrheit“. Deshalb lässt sich Jnana-Yoga nicht ohne Weiteres lehren, denn Wissen kann man vermitteln, Weisheit jedoch nicht! Jnana-Yoga ist der empirische Weg der Erkenntnis. (siehe: Vagavad-Gita 4/38). Der genuine Jogin ist ein Advayta-Brahma-Inani-Sanyasin!
Um welches Wissen geht es hier?
Es geht um die Erkenntnis, dass das Antlitz der Param-atma (Supreme-Seele) in mir selbst sowie in der gesamten Schöpfung gegenwärtig ist und ich selbst als verkörperte-Seele (Jivatma) mit dem Param-Atma eine Einheit bin. Param-Atma ist synonym mit Param-Brahma.
Die Voraussetzungen für Inana-Yogin:
Bahiranga-Sadhana: Ernsthafter Wissensdurst über die Lehr-Philosophie, Reinheit, Ehrehrbietung gegenüber dem erleuchteten Gurudev.
Antaranga-Sadhana:Den Sutras Reverenz erweisen, eiserner Wille, Beharrlichkeit, radikale Beherrschung des Körpers sowie der fünf Sinne und des Geistes. (siehe: Vagavad-Gita 4/39)
Exkurs: Jnana-Yoga oder Samkhya-Yoga (Sanyas-bad)
Auf der Suche nach der wahren Natur des Selbstes (Jivatma), sagt der Upanishad, dass der Körper (skt. sthula-deha), die Sinne (skt. Indrias), die Psyche, der Verstand, die Denkfähigkeit (skt. Manas), der Intellekt (skt. Buddhi) die Körperhülle (skt Koshas) sind, die die ewige Wahrheit verdecken und dass keiner dieser Koshas in der Lage ist, diese kohärente Tatsache zu identifizieren, obwohl sie selbst seine Manifestation sind! Aber sie sind alle dem Zeitenlauf unterworfen. Denn das wahre Selbst leuchtet permanent dahinter als das reine Bewusstsein! Dieses wahre Selbst heißt „Paramatma“ Brahma ist die selbst-bezeugende Wahrheit.
„…satyam, jnanam anantam Brahma…“ (siehe: Taitteriya Upanishad II/1,2.)
Brahma als ultimative Realität ist immanent und transzendent zugleich. Als transzendenter Aspekt ist Er unendlich, ewig und außerhalb der Schöpfung „…atha asthulam ananu…“ (siehe: Brh. Upanishad III/8.8), also: Er ist weder groß noch klein, weder kurz noch lang. Aber als immanent ist Er das gesamte Universum durchdringend „…sarva karma sarvakamah sarvagandhah…“ (siehe: Chand. Upanishad III/14.2), also:Er ist die Ursache von allen Ursachen und darüberhinaus. Er durchdringt das gesamte Universum.
Deshalb ist die Frage oder gar die Sehnsucht nach der höchsten Wahrheit unauslöschlich eingeprägt im Menschen. Jedoch ist die spirituelle Erkenntnis logischerweise von der spirituellen Natur der ultimativen Realität nicht ableitbar, sondern nur durch unmittelbare Wahrnehmung spontaner intuitiver Visionen. Der Upanishad bestätigt:
„eso devo visva karma mahatma
Sada jananam hridaye sannivistah,
hrida manisa manaso bhikipto,
Ya etad vidur amritaste bhavanti.
(siehe: Svetsavatara Upanishad IV/17)
Also:
Der Schöpfer der gesamten Schöpfung, selbst-erleuchtetes Licht und alles durchdringend, Er verweilt immer im Herzen des Menschen. Er offenbart sich im Negativausschluss (Beständiges/Unbeständiges) und die Erkenntnis über die einzigartige Singularität basiert auf intuitiver Reflexion. Der Erkennende erlangt die Unsterblichkeit.
Die Kern-Aussage von Jnana-Yoga ist: Selektive und fortschreitende Differenzierungsfähigkeit von Nicht-Wahrem und Wahrem, von Nicht-Dauerhaftem und Konstantem, bis der qualifizierte Sadhaka in der metaphysisch-erhabenen Ebene seiner eigenen Seele die ultimative Realität erfährt, erfüllt mit Sat-cit-ananda, also Wahrheit–Bewusstsein–Freude, d. h. Freude am reinen Bewusstsein, und in der Resonanz seines Herzens erklingt So’ham (Ich bin Er), aham Brahmasmi (Brahma bin ich).
Da Brahma eigenschaftslos ist, kann Er kein Objekt der Wahrnehmung sein. Er ist außerhalb des Gedanken-Geistes und Sprach-Horizontes, und deshalb ist Er nur durch intuitives Brahma-Bewusstsein erkennbar, und das ist „Brahmanubhaba“. Wer das erlebt, nur der kann die Natur Brahmas beschreiben in der bodenlosen, tiefen Stille des reinen Bewusstseins und der Seligkeit! Dieser Yogin kann niemals sein Erleben und seine Erfahrung in Worte fassen!
„Yato vacye nirvartante aprapya manasa saha.“
(siehe: Taittiriya Upanishad II/4,1)