Was ist Mäyä?

Wir haben es erfahren, dass nach der ursprünglichen Ritualistik mit Götterpantheon Brahma als inhärente Kraft erkannt wurde“ und Er zum Erschaffer, Erhalter und Erlöser dieser Weltgeschenisse postuliert wurde. Die Konzeption von Brahma wurde allmählich zu einer universellen monotheistischen Vorstellung. Gleichzeitig entwickelte sich der spekulative Gedanke einer Einheit von sich selbst und dem immanenten Geist. Danach wurde die große göttliche Seele (Paramätmä) und als Entsprechung im Mikrokosmos, die individuelle Seele (anarätmä) erkannt. Brahma und Ätmä- wurden identisch und das spirituelle Verständnis wandelte sich zu einem absoluten Pantheismus,

Es stellte sich zunächst noch die Frage nach der Singularität von Brahma und Multiplizität der Schöpfung. Anschließend stellten die Weisen explizit fest, dass sich Brahma sowohl in Formen als auch der Formlosigkeit, Sterblichkeit und der Ewigkeit, statisch und dynamisch, in der Realität und im Jenseits, phänomenal und nicht phänomenal artikuliert.

„… es existieren sicherlich zwei Arten von Brahma: vor die Entstehung der Sonne war Er zeitlos und eine Einheit. Aber nach der Erscheinung der Sonne ist Er die bewegte Zeit mit Vielfalt..“ (vide: Maytrea Upanishad 6.15)

Diese binäre Vorstellung von Brahma zeigt dem einen Brahma als superphänomenale Singularität an, dem anderen eine Exhibition von Diversität mit mannigfaltigen Eigenschaften. Deshalb galt Brahma dem einen als höher und dem anderen als Ausdruck niederer Eigenschaften. (vide.:Svetäsvatara Upn. 1.1.3., Mundäka Upn. 2.2.8. und Prasna Upn.5.2)


Es sollten zwei Erkenntnis – Strömungen zusammenfließen, um Brahma wahrnehmen können. Dies findet man bestätigt zum Beispiel in Katha Upanishad 6.13.:

„… Er (Brahma) kann sicherlich erfahren werden durch den kulminativen Gedankenimpuls: Er ist: und durch die Berücksichtigung von zwei Naturen…“

Das Dualitäts – Postulat von Brahma, fand jedoch keinen Widerhall in der fundamentalen Denk-Doktrin der klassischen Vendantas: “…es gibt nur einen Brahma, ohne ein zweites…“. Das bedeutet, Realität ist singulär, Diversität ist nur eine Erscheinung.

In Brihadäranyka Upanishad 2.5.19.

“…Indra nimmt viele Gestalten an durch seine magische Kraft (Mäyä).“

Mäyä als die übernatürliche Kraft etc.wurde schon oft beschrieben, z.B. in Rigveda 6.47.18.

Mäyä ist keine Illusion oder radikale Täuschung sondern eine Kausal-Kosmische Projektion und wird wie folgt beschrieben:

“… Brahma als Illusionist projiziert die ganze Welt und darin sind wir alle augenscheinlich eingesperrt. Nun, sollte man wissen, dass die Natur eine Projektion ist und der Erhabene ist der Verursacher…“ (vide: Svetäsvatara Upn. 4.9-10)

Diese Mäyä-These wurde dann ein wichtiges Dogma in den Vedanten und ein ambivalent-mysteriöses Wissensfeld für Kognitiv veranlagte Menschen.

In advayta-Vedänta tritt die Shakti als abhängige Manifestation von Samsara (das Prinzip: Werden-Sein-Vergehen) auf. Sie verschleiert das “ewig-erleuchtete“ reine Bewusstsein in einem “unerklärbaren“ Mysterium – genannt Mäyä. In Sänkhya-Darshan dagegen ist die Shakti mit der Prakriti identisch, jedoch Parkriti ist dort vollkommen unabhängig von Brahma oder Paramätmä, dort Purusha genannt. Die Mäyä ist in Sankhya-Darshan ein zweites unabhängiges Prinzip!

Der Mensch ist von seinem Ursprung her natur-beseelt oder gar erleuchtet (lt. Buddha), aber durch die Verschleierung des Bewusstseins ist er sich seiner Wahren Natur nicht bewusst.

Diese Verschleierung ist die Mäyä-Shakti und das Ursprungs-Antlitz von Aham (Ego) und das Ich manifestiert sich in Form von unzähligen Wünschen, Verlangen, Leidenschaften und Begierden als Fahnenträger des Egos.Im Dunstkreis der Verlockungen berauscht verwechselt der Mensch das Wahre mit dem Unwahren, das Beständige mit dem Unbeständigen,das Ewige mit dem Endlichen und verfällt völlig in den Bann der Unwissenheit (skt. avidya) dabei vergisst er gänzlich seine divine Natur zu erkennen und sein göttliches Geschenk (präpya barän nibadhata) entgegen zu nehmen. Diese Erkenntnis ist ätma-bodha oder Erkenntnis des Selbst als Teil der metaphysischen Realität, genannt Paramätmä!

Die Mäyä ist ein geheimnisvoller Aspekt von Shakti oder Prakriti. Sie verdeckt die dem menschlichen Bewusstsein zugrunde liegende Wirklichkeit und lässt die Menschen in einer äußeren materialen Welt in der Woge der sechs Laster(skt.ripus) schwimmen, dabei identifiziert er sich mit der subjektiven Realität und vergisst dabei völlig seine wahre Bestimmung, Berufung und Beziehung als Krone der Schöpfung, ja, die kognitive Fähigkeit, die Bedeutung, die Begegnung, die Bekehrung, die Berührung sowie “ die ultimative Bindungshoheit und Bündnis Souveränität mit seinem inneren Selbst“, seine göttliche Seele (anaträtma) zu erkennen!

Die Bewertung des Substrats von relevanten Vedanta-Auslegungen bedingt einen nachsichtigen Umgang. Aus pragmatischen Betrachtungswinkel ist die Mäyä einerseits die Shakti, die Kraft, was einen Aspekt von Paramätmä darstellt. Andererseits,ist die Shakti begnadet die Symphonie von Werden-Sein-Vergehen zu spielen.

Außerdem, repräsentiert die Mäyäshakti selbst die zwei Seiten einer Medaille. Einerseits ist sie ein Mysterium, ein Rätsel;andererseits ist sie selbst die Aufklärung, die Lösungspotenz. Sie führt uns in die verwirrenden Verlockungen, aber auch in Richtung Einschätzung, Einordnung, Entscheidung, Einweihung, Erstrebung und Erkenntnis des selbst!

Im Einklang mit der sprachsynkritischen Ausdrucksweise von Gurumahäräj Sri Ramakrishna: ein Dorn im Fuß lässt sich mit einem zweiten Dorn entfernen, oder fällt man am Boden, so steht man mit Hilfe des gleichen Bodens wieder auf.

Die erste Seite der Medaille ist die Unkenntnis (avidyä-mäyä) und die zweite ist die Kenntnis (vidya-mäyä).

Die Bestätigung dieser Interpretation findet man bereits in Vagavad Gita 6/5,6 mit klarer Ausprägung vor:

“… befrei deine Seele mit der eigenen Seele. Erschöpfe und erniedrige sie nicht. Deine Seele ist der Freund und Feind zugleich. Die Seele die von Zwängen befreit und beherrscht, ist die befreundete Seele. Die nicht-beherrschte Seele ist negativ und feindselig…“

Eine Duplizität der verkörperten Seele? Nein! Die eine ist die göttliche Emanation, die andere ist unser Ego (aham), daß primär durch unseren Geist (mana) kontrolliert wird. Deshalb sagt der Rishi:

mana eba manushyanan käranan bandhamokshaeoh“.

Der Geist des Menschen ist verantwortlich für seine Lebens-Bindung oder Befreiung!