Die Gambhira Phase

K.C.s  Geisteshaltung veränderte sich. Er zog sich zurück, um in einem sehr kleinen, erlesenen Kreis die „Ganbhira“ darzustellen und vorzuleben. Der Begriff „Gambhira“ bedarf einer  kurzen Erläuterung. „Gambhira“ bedeutet „feierlich-ernst“ und beschreibt die bittersüße, ewig wiederkehrende Vereinigung und Trennung von Liebenden. In diesem Zusammenhang  handelt es sich um den Genuss des Liebes- und erst recht des Trennungsschmerzes, genannt „Radha-Krishna-Trennungsschmerz -in -Melodien-Nektar“ (skt. Rasha). Etwa wie der englische Dichter sagt, „Our sweetest songs are those, tell us sadest thoughts“ also : Die Traurigsten Gedanken besingen uns die süßesten Melodien!

Um diese herzbewegende Melodie ging es nun bei K.C. Die nächsten  zwölf  Jahre seines Lebens verbrachte er in Abgeschiedenheit in einem Raum im Inneren seines Hauses, vollkommen assimiliert im Liebes-Drama von Sri-Radha-Krisha. Das eine Mal befand er sich in der Rolle von Sri Krishna. Das andere Mal in der von Sri Radhadevi, mal in der euphorischen, die Welt umarmenden Stimmung in der Vereinigung mit der Geliebten, er selbst als Sri Krishna, ein anderes Mal in herzbewegender Trauer wegen der Trennung. Solche emotional  tiefgreifendes Wechselspiel kannte weder Uhrzeit noch Tag und Nacht. Die Wellen des Tsunamis der Gefühle komponierten ständig neue Klänge in Dur und Moll und nur wenige Ausgewählte hatten das Glück, diese unvergängliche Symphonie mitzuerleben, sie im Herzen zu tragen und der Nachwelt davon zu berichten und sie zu begeistern.

Den duftenden  Genuss von romantischer Begegnung und Trennung hatten in der indischen Gesellschaft bereits vor  der Erscheinung von K.C, einige Dichter wie Jayadev, Vidaypati, Chandidas und andere  recht beeindruckend in anschaulichen Bildern beschrieben. Aber bei K.C. spielte sich das Drama in einer sakral- ethischen, metaphysischen Ebene ab!

Die einzelnen  Ausdrucksformen, in denen sich  K.C. manifestierte, hat Sri Ruup in seiner Dichtung als Tagesprotokoll, wie folgt beschrieben :

  „…Chintatra Yagarodbegou Tanabam Malinamgata…..“

                                         ( vide: Rasha-Shashtra  251ff. )

Also:

 Die  zehn göttlichen  Ausdrucksforen von K.C.

1.) skt.Chinta = in Gedanken

 2.) Yagaran = Wachzustand

3.) Udbeg = die sorge

4.) Krishnata = Gewichtsverlust

5.) Malin Anga = nachlassendes Körperbewusstsein

 6.) Pralap = Phantasieren

7.) Byadhi = körperliche Beeinträchtigung

 8.) Unmadh =  Wahnvorstellung 

9.)Murcha = Ohnmacht 

10.) Mrittu-dasha = Lebensbedrohung

Der Liebes- und Trennungsrausch verursachte einen inneren Strudel,  in dem er ständig ertrank!

Gegen Sonnenuntergang tauchte K.C. nun regelmäßig in diese Gefühlswellen ein. Das eine Mal kam er kurz zu sich und fragte, „Swarup oder Ram Ray, zeige mir den Ausweg, mein Zustand ist unerträglich! Ram, rezitiere geeignete Verse, vielleicht kommt mein Geist dann zur Ruhe. Swarup, sing doch etwas aus „Krishnamangal“, vielleicht bringen die heilsamen Zeilen mir  meine  Lebensenergie zurück.“ Tief in der Nacht bugsierten Swarup und Ram Ray K.C. mit großer Sorgfalt, manchmal auch mit ein wenig Kraftanstrengung  in sein Zimmer, legten ihn ins Bett und schlossen die Tür von außen zu.

Eines Nachts brachten die beide wieder K.C. ins Bett und verriegelten die Tür mit der Kette. Es war schon spät, deshalb ging Ram Ray nach Hause und Swarup legte sich vor K.C.s Zimmertür schlafen, anstatt sich in sein Zimmer zurückzuziehen. Er hörte noch, wie K.C. „Nam-Kirtana“ sang. Plötzlich wurde es still. Swarup wollte sich davon überzeugen, dass K.C. wirklich schlief. Deshalb öffnete er die Tür, und er fand das Zimmer leer vor! Da würde er unruhig, weckte die anderen Bewohner, darunter auch Govinda. Mit Öllampen in den Händen begannen sie K.C. überall zu suchen, und schließlich entdeckten sie ihn in einem bedenklichen Zustand vor dem Löwen-Tor am Nordportal des Tempels liegend. Seine leblosen Augen waren offen, der Mund mit Schaum bedeckt. Der erste Anblick war erschreckend. Swarup sprach ihm immer wieder laut  „Krishna-Nam“ ins Ohr. Abrupt wurde K.C. wach und rief, „Kanha, Kanha“ ( wo? wo? ), danach murmelte er „Haribol …Haribol“, stand auf und fragte mit schlaftrunkener Stimme Swarup, was denn los sei. Er antwortete,“ Herr, kommen Sie mit uns nach Hause, dort werden wir alles erzählen.“ Zu Hause angekommen, hörte sich K.C. die Geschichte an und sagte ganz verblüfft, „Ich weiß davon ja gar nichts. Ich habe nur im Gedächtnis, dass Sri Krishna  erschienen, und dann wieder verschwunden ist, und ich lief hinterher, um ihn wiederzufinden.“ An dieser Suchaktion war auch Raghunath Das beteiligt gewesen. Er beschreibt diese Vorkommnisse in seinem Tagesprotokoll  in Versform  (Karcha  16/125)!

K.C. hatte inzwischen alle Aspekte des Vaishnabismus ausführlich gelehrt und auch auf vielfältige Weise die Kernaussagen von Sri- Krishna-Sadhana (Anbetung) dargelegt und alles  unzählige Male lebensecht  demonstriert. Diese „Gambhira-Lila“ war nur wenigen besonders ausgewählten Persönlichkeiten vorbehalten, es  waren Swarup, Ram Ray, Sanatan, Sikhi Mahiti, und seine Schwester Madhabi Dashi! Es gibt nur wenige Menschen, die hinsichtlich ihrer Lebenseinstellung sowie geistig-seelisch in der Lage sind, diese höchste Gebetsform stets, bei Tag und bei Nacht, zwölf Jahre lang voller Inbrunst zu praktizieren. Diesem Melodram als Zuhörer zuzuhören, ihm als Zuschauer zuzusehen, es als gläubiger Anhänger mitzugestalten, das eine Mal in der Vereinigungsfreude von Sri-Radha-Krishna zu  verschmelzen, aber auch im Trennungsschmerz bis zur Selbstaufgabe zu verbrennen; ständig, manchmal auch stündlich in der Woge solcher Gefühlswellen geschüttelt und getrieben, vergingen,  sage und schreibe zwölf Jahre!